Boykott jüdischer Geschäfte (LFS00472 3)
Résumé
Description
ZT: Kundgebung gegen das Judentum
Vor dem Laden von Rolf Friedmann stehen uniformierte SA-Männer mit Plakat: "Eine deutsche Hausfrau kauft nicht beim Juden". Kinder und wenige Erwachsene auf der Straße.
Contexte et analyse
In der Ortenau ist jüdisches Leben seit dem Mittelalter um 1300 nachweisbar. 1348/49 drohte eine Auslöschung der jüdischen Bewohner, da sie verantwortlich gemacht wurden für die Ausbreitung der Pest. Viele von ihnen wurden auf Scheiterhaufen verbrannt. Dass dabei durchaus eigennützige Interessen mitspielten, wurde sogar in zeitgenössischen Quellen erwähnt. 1389 wurde die bedeutende jüdische Gemeinde in Strasbourg aufgelöst. Damit ging ein organisatorischer Mittelpunkt verloren, und sie verstreuten sich in die umliegenden Ortschaften. Im 15. Jahrhundert wurden die jüdischen Geschäftsleute aus dem Kreditwesen verdrängt, und christliche Kaufleute übernahmen diese Aufgabe.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts siedelten sich jüdische Händler wieder in der Gegend von Lahr und Offenburg an. Sie handelten vor allem mit Pferden, Metall, Häuten und machten Kreditgeschäfte. Im 18. Jahrhundert erlaubten einige Reichsritter die Ansiedlung von Juden, um Einkommenssteuer von ihnen zu kassieren. Häufig vermarkteten sie landwirtschaftliche Produkte auf den städtischen Märkten und die handwerklichen Produkte aus den Städten auf dem Land. Von daher hatten sie eine Bedeutung für die ländliche Wirtschaft. In den Dörfern waren die Juden oft gezwungen in einem abgesonderten Bereich zu leben, da sie nicht neben Christen wohnen durften. Trotzdem kam es immer wieder zu Konflikten. Nach der Gründung des Großherzogtums Baden erhielten 1808 die dort lebenden etwa 14.000 Juden die badische Staatsbürgerschaft. Auf Gemeindeebene blieben ihre Rechte jedoch eingeschränkt. Um 1830 richteten die Kaufleute Ladengeschäfte ein und waren sehr aktiv im Viehhandel. Zwischen den Volkszählungen 1825 und 1852 stieg die Zahl der jüdischen Mitbürger von 17.577 auf 23.699, die überwiegend in Nordbaden wohnten.
1852 hatte Lahr einen überdurchschnittlichen Anteil von 3,4 % jüdischer Bevölkerung; der Landesdurchschnitt lag bei 1,7%. Im 19. Jahrhundert ließen sie an verschiedenen Orten Synagogen bauen, die oft von dem Freiburger Architekten Georg Jakob Schneider entworfen wurden. Seine Bauten verraten den Einfluss des Reformjudentums, die versuchten, das Judentum mit den Erfordernissen der Moderne in Übereinstimmung zu bringen. 1848 stimmte die Zweite Kammer des Badischen Landtags für die politische Gleichberechtigung aller Staatsbürger ohne Unterschied des religiösen Bekenntnisses, und 1862 stimmten sie für das „Gesetz über die bürgerliche Gleichstellung der Israeliten“. Dies bedeutete beispielsweise, dass Juden sich an jedem Ort niederlassen konnten, was ihnen bis dahin verwehrt gewesen war. 1888 wurde in Lahr eine jüdische Gemeinde gegründet, deren Mitglieder überwiegend aus Schmieheim kamen. Gegen die Etablierung jüdischer Mitbürger in der Gesellschaft gab es aber schon im 19. Jahrhundert eine antisemitische Bewegung, die offen gegen Juden hetzte und zum Teil zum Boykott von deren Läden aufrief.
Diese Strömungen griffen die Nationalsozialisten nach der Machtübernahme auf. Schon im März 1933 beschloss beispielsweise der gleichgeschaltete Gemeinderat in Offenburg, jüdische Firmen, Geschäfte und ihre Filialen von der Belieferung der Stadtverwaltung auszuschließen. Am 1. April 1933 gab es im ganzen Reich einen Boykottaufruf, nicht mehr in jüdischen Geschäften zu kaufen. In Lahr wurde dieser Boykott von dem Amateurfilmer Eugen Heine filmisch dokumentiert. Der kurze Film beginnt mit einer Schrifttafel „Kundgebung gegen das Judentum“. Die erste Aufnahme zeigt SA-Männer vor einem Laden, die von Jugendlichen umringt sind. Die zweite Einstellung zeigt einen SA-Mann, der allein vor dem Geschäft von Rolf Friedmann steht. Ein Ochsenwagen zieht vorbei. Es folgt eine halbnahe Einstellung, damit das Schild „Eine deutsche Hausfrau kauft nicht beim Juden!“ gut zu lesen ist. Vor dem Eckladen der Familie Hauser steht ebenfalls ein einsamer SA-Mann mit dem gleichen Schild. Die nächste Einstellung entspricht der ersten Szene, in der mehrere SA-Männer vor einem Laden stehen, von Jugendlichen umringt. Ein Polizist mit einem Fahrrad bleibt stehen und beginnt eine Unterhaltung. Zwei SA-Männer stehen mit dem Schild vor einem Eckladen, dessen Schaufenster und Eingangstür eine deutliche Jugendstil-Gestaltung aufweisen. Das Schlussbild ist unterbelichtet und zeigt zwei SA-Männer vor einem weiteren Laden. Es kommt weder zu Tumulten noch scheinen Käufer zu kommen, die in die Läden wollen. Dies kann jedoch auch damit zusammenhängen, dass in Lahr der Boykottaufruf unterlaufen wurde, indem die Konsumenten früh am Morgen einkaufen gingen, als die SA noch nicht vor den Läden stand. Das Lahrer NS-Blatt „Grüsselhorn“ kritisierte dies ‚undeutsche‘ Verhalten in einem Artikel: „Man sollte es nicht für möglich halten, dass die Landleute, die ihre Produkte auf dem Markt doch an deutsche Volksgenossen verkaufen, ausgerechnet ihr Geld zum Juden tragen“ (Stude 1993, S. 156-157). Eine ökonomische Bedeutung hatte dieser Boykotttag für die jüdischen Geschäftsleute nach eigenen Angaben kaum. Vereinzelt solidarisierten sich sogar deutsche Mitbürger mit ihnen. Allerdings zeigte dieser Tag den Nationalsozialisten, dass sie bei der Ausgrenzung jüdischer Mitbürger bei der deutschen Bevölkerung auf wenig Widerstand stoßen werden. Wie schnell sich die Ausgrenzung und Isolation im Ortenaukreis vollzog, war von Ort zu Ort sehr unterschiedlich (Baumann 2000, S. 230)
Bibliographie
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