Neuer Pfarrer (LFS 01433 5)
Résumé
Contexte et analyse
Er hat seinen Auftritt. Zunächst jedoch sieht man Bilder von dem Ort, an dem das Ereignis stattfinden wird. Menschen – es sind vor allem Frauen – warten am Philippsburger Marktplatz bei der katholischen Kirche. Die Musik, die dem Film unterlegt ist, stimmt ein: Schuberts Ave Maria, gesungen von Karel Gott. Der neue katholische Pfarrer, Wolfram Hartmann, wird an diesem Tag im Mai 1971 in sein Amt eingeführt.
Der Ort präsentiert sich als Bühne des bevorstehenden religiösen Rituals. Da ist der Blick auf das Wohnhaus des Neupriesters am Marktplatz, geschmückt mit den Fahnen der Stadt und der Kirche. Eine junge Frau im roten Minikleid geht vorbei – und macht markant auf die veränderte Damenmode aufmerksam. Der Platz mit dem Ehrenmal für die Gefallenen kommt in einer Totalen in Sicht, und die Kamera schaut auch mal kurz in eine beflaggte Straße der Innenstadt. Dem Amateurfilmer und Sprecher geht es nicht nur um das Ereignis selbst, sondern um die Szene am Ort. Er greift auf die Möglichkeiten des Dokumentarischen zurück, dasjenige genauer zu zeigen, was in der Fernsehberichterstattung kaum zu sehen ist. Die Szene bekommt eine eigene dokumentarische Dramaturgie, in der auch das Publikum mit auf der Bühne ist.
Der Film versammelt zunächst, was zur Szene an diesem besonderen Tag gehört. Der Kirchturm, der in den Schön-Wetter-Himmel ragt; die Wartenden, die in Grüppchen an der Mauer stehen und sich unterhalten; das Kirchenschiff mit dem Philippsbrunnen, die im Gegenlicht zum Blickfang werden: Markiert wird eine Stimmung, die sich vom Alltäglichen abhebt. Dann betritt der neue Pfarrer die Szene. Hinter einem Auto hervorkommend geht er souveränen Schrittes an einer Zuschauerreihe vorbei, um vom Vorsitzenden des Pfarrgemeinderates begrüßt zu werden. Am Eingang der Kirche ist die Kamera näher dran, zeigt den Neupriester wieder händeschüttelnd, bevor auf die Menschenmenge hinter ihm geschnitten wird. Er ist die Hauptfigur einer Aufführung, die sich nicht nur am kirchlichen Ritual, sondern auch an Mustern orientiert, wie sie aus den Massenmedien bekannt sind. Der junge Pfarrer – er ist gerade mal 25 Jahre alt – wird zum Hauptdarsteller, dessen Gesicht jetzt groß im Bild erscheint: Die Großaufnahme des Protagonisten wird – wie im Spielfilm – zum visuellen Höhepunkt des Films, bis sich im Anschluss die Einstellungen wieder auf sein Gegenüber weiten.
Die Wirklichkeit folgt in ihrer Tendenz den Darstellungen im Fernsehen und nicht umgekehrt – so lautet eine der Thesen bereits in der frühen Fernsehtheorie. Der Amateurfilm setzt so gesehen ein kirchliches Ereignis in Szene, das seinerseits schon etwas von den Inszenierungen in den audiovisuellen Massenmedien angenommen hat. Und der Amateurfilm wiederholt dieses Ereignis mit dokumentarischen Mitteln: Die Großaufnahme der Hauptfigur gerät zum visuellen Kulminationspunkt, doch der junge Pfarrer hat – gerade als ein untypischer, jugendlicher Vertreter seines Berufsstandes – einen Spielraum, sich individuell darzustellen. Als ein solcher ‚anderer‘ katholischer Pfarrer betritt er bereits die Szene, und auch die Nahaufnahmen, die nun folgen, geben ihm den Raum, sich für die Kamera zu zeigen: selbstbewusst und sich seine eigene Rolle schaffend in diesem von der religiösen Konvention belasteten Beruf.
Dann ist er wieder Teil des feierlichen Ablaufs. Die Eltern treten aus der Menge hervor, während eine Volksschulklasse dem Neupriester ein Ständchen bringt. Das Einführungsritual nimmt seinen Lauf: Am Kircheneingang zieht er neben Pfarrer und Kaplan sein liturgisches Gewand über. Der neue Pfarrer, der bereits in einem eigenen, unkonventionellen ‚Bild‘ für das Publikum in Erscheinung getreten ist, verschwindet mit den anderen Würdenträgern im Dunkel der Kirchentür.
Und auch die anschließenden Bilder von der Prozession, die ihn am Elternhaus abholt und zur Kirche geleitet, lässt ihn erst spät am Ende des Zuges sichtbar werden. Der junge Priester ordnet sich ein in das kirchliche Ritual, das ihm jedoch an anderen Stellen auch den Raum lässt, seine Rolle in der ihm eigenen Weise einzunehmen. Und dies in einer Zeit – Anfang der 1970er Jahre –, als in der Öffentlichkeit von der Krise des traditionellen Priesterbildes die Rede war. So gibt der Amateurfilm von rund vier Minuten dem Neupriester umso mehr die Möglichkeit, das festgelegte Rollenbild seines Berufsstandes aufzubrechen. Der Film lässt die religiöse Konvention als eine Bühne erscheinen, auf der sich der Protagonist mit einer Authentizität zeigt, die zum lokalen Ereignis wird. Der neue Pfarrer hat seinen Auftritt.
Reiner BaderLieux ou monuments
- ↑ Cette fiche est en cours de rédaction. À ce titre elle peut être inachevée et contenir des erreurs.