Festspiel Trommler von Philippsburg (LFS01407 2) : Différence entre versions

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|Resume_de=Festspiel "Der Trommler von Philippsburg" anlässlich der 600-Jahrfeier in Philippsburg 1938.
 
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  Philippsburg. Zeit: während des 30jähr. Krieges.  
 
  Philippsburg. Zeit: während des 30jähr. Krieges.  
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Szene aus dem Festspiel: Kriegsgericht.  
 
Szene aus dem Festspiel: Kriegsgericht.  
 
ZT: Ende.
 
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|Contexte_et_analyse_de=Der Himmel war wolkenverhangen und es regnete, als die Philippsburger im August 1938 das 600-jährige Stadtjubiläum mit einem Festzug begingen. Unmittelbar vor dem Festzug war auf dem Marktplatz das Festspiel über den „Trommler von Philippsburg“ aufgeführt worden. Die Zeit des Festspiels, die historische Welt des 17. Jahrhunderts, wie sie Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen in seinem Roman über den „abenteuerlichen Simplizissimus“ dargestellt hatte, sollte auch der zeitliche Rahmen für den Festzug sein. Der damalige Bürgermeister Oswald Kirchgeßner betonte in seiner Ansprache, „daß dieses Fest bewusst schlicht und einfach, der Zeit und der schweren Geschichte der Stadt entsprechend, gefeiert werde“. Die Gegenwart, in die das Jubiläum fiel, war der Nationalsozialismus. Der kurze Film über das Ereignis lässt die Fahnen und Fähnchen mit den Hakenkreuzen nicht übersehen – und weniger noch die nationalsozialistischen Gruppen, die im Festzug mitmarschieren. Sie fallen heraus aus der historischen Vergangenheit, der das äußere Bild des Festzuges entsprechen sollte.
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Auch ein Festzug ist ein „Medium“, mit dem sich eine Gesellschaft darstellt – eine Stadtgesellschaft in diesem Fall, die im Verweis auf ihre Geschichte sich ihrer Identität in der Gegenwart zu versichern sucht. Der Festzug wird zur medialen Form, in dem sich das soziale Gedächtnis manifestiert, zum Ort, an dem die kollektive Erinnerung sich nicht nur aktualisiert, sondern anschaulich wird in der „Aufführung“ eines Festzuges, mit der sich das Bild der Stadtgemeinschaft zugleich wiederholt und verändert. Wie verarbeitet es eine bürgerliche Stadtgesellschaft, wenn in diese Erinnerungskultur die Gegenwart einer projektierten nationalsozialistischen Volksgemeinschaft einbricht, die letztlich nicht mehr bürgerlich verfasst ist?
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Die erste Einstellung des Films irritiert. Die Halbtotale hält die Zuschauer auf dem Gehweg gegenüber konsequent im Blick, die Wagen und Gruppen jedoch, die vorne vorbei defilieren, sind wiederholt groß oder zu groß im Bild. Da ist der Wagen mit dem Modell der Stadtfestung, dem Roten Tor. Mädchen in weißen Kleidern tragen ein Fischernetz. Der „Vater Rhein“ liegt halbnackt in seinem Wagen mit den Schilfgräsern. Jungen ziehen ein Boot mit zwei Fischern. Historische Trachten und Geräte prägen die „lebenden Bilder“ – die Not vergangener Tage soll in Erinnerung gerufen werden. Dann tritt die Nazi-Kapelle in Uniform auf – der Abstand zum vorigen Wagen scheint sie geradezu anzukündigen. Die Zuschauer sind gewissermaßen mit auf der Bühne bei einem Festzug, und auch in dieser Einstellung des Films bleiben sie im Hintergrund beständig im Blick: Der Festzug zieht an ihnen vorüber, zieht durch das Bild hindurch – und versammelt das Disparate und Widersprüchliche in der Bewegung, mit der der Zug voranschreitet. Das „Medium“ des Festzuges hält das Getrennte und Gegensätzliche zusammen in seiner visuellen Erscheinung: eine Stadtgesellschaft zwischen Erinnerung und nationalsozialistischer Gegenwart, zwischen dem Recht des Einzelnen und der Idee einer Volksgemeinschaft, in der dieses Recht verloren zu gehen droht.
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Die Zuschauer sind beharrlich im Blick, sie gehören zur Inszenierung des Festzuges, und nach einem Schnitt sieht man sie auch im Vordergrund im Bild, während sich der Zug auf gleißender Straße der Kamera entgegen bewegt. Jetzt tauchen die Darsteller aus dem Festspiel in mehreren Schnitten auf: Der Kommandant Kaspar Bamberger und sein Kapitän auf dem Pferd, Soldaten mit eisernen Helmen, ein Planwagen mit niederem Volk. Das Schauspiel über den „Trommler von Philippsburg“ wird zu einer Art „Script“ für den Festzug, in das sich auch die Bauern und Fischer mit ihren alten Gerätschaften einfügen. Die fiktionale Geschichte, die von Grimmelshausens Schelmenroman angeregt ist, prägt das Erscheinungsbild des Festzuges, das sich offen hält im Ineinander von Fiktion und Realität.
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Die Nazi-Gruppen, die dann in Reih und Glied vorbei marschieren und in der Halbnahen meist mit stoischen Gesichtern ins Bild rücken, verweisen in ihrem demonstrativen Auftreten nur noch auf sich selbst, auf die gesellschaftliche Realität der Gegenwart. In der Bewegung des Voranschreitens nimmt der Festzug auch die Nationalsozialisten auf in die widersprüchliche Realität, die er selbst erst möglich macht. Der Anführer der Gruppe erhebt die Hand zum Hitlergruß –  und im Vordergrund ist für eine kurze Sekunde die Hand eines Zuschauers zu sehen, der den Gruß erwidert. Im flüchtigen visuellen Ereignis einer hochgeschnellten Hand deutet sich das Schauspiel von NS-Masseninszenierungen an, die mit ihrer Faszination auch die Herrschaft der Einheit durchsetzt, der sich der Festzug widersetzt.
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Philippsburg anno 1938: Der kleine Amateurfilm lässt das kulturelle Gedächtnis der Stadtgemeinschaft als heterogenen Raum sichtbar werden, der sich zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Fiktion und Realität in der Schwebe hält. Die zum Hitlergruß erhobene Hand, die eher zufällig ins Bild kommt, erhebt sich in einem Herrschaftsraum, den die Nationalsozialisten bereits besetzt haben. Ein Raum, der jedoch immer wieder übergeht in andere Räume und Zeiträume – in einem Bilderbogen, bei dem am Schluss noch einmal Menschen und Dinge aus dem Fiktionsraum des Festspiels in den Blick geraten: eine Kanone, Soldaten und wieder der Planwagen, der mit einem Schwenk hinter einer Hausecke verschwindet.
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Reiner Bader
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|Bibliographie=GVOZDEVA, Katja; VELTEN, Hans Rudolf, Medialität der Prozession / Médialité de la procession. Performanz ritueller Bewegung in Texten und Bildern der Vormoderne, Heidelberg, Winter 2011.
 
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Version du 25 septembre 2019 à 12:46


Avertissement[1]

Résumé


Festspiel "Der Trommler von Philippsburg" anlässlich der 600-Jahrfeier in Philippsburg 1938.

Description


ZT: Der Trommler von Philippsburg. Bilder aus dem Festspiel von Hans Peter Moll. Ort der Handlung:

Philippsburg. Zeit: während des 30jähr. Krieges. 

ZT: Ein Wunderdoktor kommt... Szenen aus dem Festspiel: Wunderdoktor ruft Menschen zusammen. ZT: Es sind schlimme Zeiten, der Franzose will Udenheim haben. Szene aus dem Festspiel: Menschen ergreifen die Flucht. ZT: Kaspar Bamberger, der Kommandant, ist deutsch gesinnt. Szene aus dem Festspiel: Mann, nah. ZT: Der "Neue" gefällt ihm; als Trommler nimmt er ihn in seine Truppe auf. Szene aus dem Festspiel: Männer diskutieren, sitzen an einem Tisch und trinken, Trommler. ZT: Courage blitzt ab. Szene aus dem Festspiel: Mann streitet sich mit einer Frau. ZT: Der Trommler liebt die Tochter des Torwarts. Szene aus dem Festspiel: Mann hält Frau im Arm. ZT: Das Troßweib und ihr Komplize stellen dem Trommler nach. Szene aus dem Festspiel: Mann und Frau diskutieren. ZT: Die "Bischöflichen" sind Parteigänger der Reichsfeinde. Szene aus dem Festspiel: Papier wird verlesen. ZT: Wo ist der Festungsschlüssel? Szene aus dem Festspiel: Menschen diskutieren. ZT: Udenheimer Fischer bitten um Schonung ihrer Hütten. Szene aus dem Festspiel: Fischer laufen durch ein Stadttor, sprechen mit den "Franzosen". ZT: Courage bereut ihr verbrecherisches Spiel. Szene aus dem Festspiel: Verzweifelte Frau. ZT: Wegen Hochverrats vor dem Kriegsgericht. Szene aus dem Festspiel: Trommler vor dem Kriegsgericht. ZT: Der Trommler scheint verloren. Szene aus dem Festspiel: Reiter kommen durch das Stadttor. ZT: In letzter Stunde werden Betrug und Arglist aufgedeckt. Szene aus dem Festspiel: Frau vor dem Kriegsgericht. ZT: Bamberger spricht den aufrechten, deutschen Mann frei. Szene aus dem Festspiel: Kriegsgericht. ZT: Ende.

Métadonnées

N° support :  LFS01407 2
Date :  1938
Coloration :  Noir et blanc
Son :  Muet
Durée :  00:07:47
Format original :  16 mm
Genre :  Film amateur
Institution d'origine :  Haus des Dokumentarfilms

Contexte et analyse


Der Himmel war wolkenverhangen und es regnete, als die Philippsburger im August 1938 das 600-jährige Stadtjubiläum mit einem Festzug begingen. Unmittelbar vor dem Festzug war auf dem Marktplatz das Festspiel über den „Trommler von Philippsburg“ aufgeführt worden. Die Zeit des Festspiels, die historische Welt des 17. Jahrhunderts, wie sie Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen in seinem Roman über den „abenteuerlichen Simplizissimus“ dargestellt hatte, sollte auch der zeitliche Rahmen für den Festzug sein. Der damalige Bürgermeister Oswald Kirchgeßner betonte in seiner Ansprache, „daß dieses Fest bewusst schlicht und einfach, der Zeit und der schweren Geschichte der Stadt entsprechend, gefeiert werde“. Die Gegenwart, in die das Jubiläum fiel, war der Nationalsozialismus. Der kurze Film über das Ereignis lässt die Fahnen und Fähnchen mit den Hakenkreuzen nicht übersehen – und weniger noch die nationalsozialistischen Gruppen, die im Festzug mitmarschieren. Sie fallen heraus aus der historischen Vergangenheit, der das äußere Bild des Festzuges entsprechen sollte.

Auch ein Festzug ist ein „Medium“, mit dem sich eine Gesellschaft darstellt – eine Stadtgesellschaft in diesem Fall, die im Verweis auf ihre Geschichte sich ihrer Identität in der Gegenwart zu versichern sucht. Der Festzug wird zur medialen Form, in dem sich das soziale Gedächtnis manifestiert, zum Ort, an dem die kollektive Erinnerung sich nicht nur aktualisiert, sondern anschaulich wird in der „Aufführung“ eines Festzuges, mit der sich das Bild der Stadtgemeinschaft zugleich wiederholt und verändert. Wie verarbeitet es eine bürgerliche Stadtgesellschaft, wenn in diese Erinnerungskultur die Gegenwart einer projektierten nationalsozialistischen Volksgemeinschaft einbricht, die letztlich nicht mehr bürgerlich verfasst ist?

Die erste Einstellung des Films irritiert. Die Halbtotale hält die Zuschauer auf dem Gehweg gegenüber konsequent im Blick, die Wagen und Gruppen jedoch, die vorne vorbei defilieren, sind wiederholt groß oder zu groß im Bild. Da ist der Wagen mit dem Modell der Stadtfestung, dem Roten Tor. Mädchen in weißen Kleidern tragen ein Fischernetz. Der „Vater Rhein“ liegt halbnackt in seinem Wagen mit den Schilfgräsern. Jungen ziehen ein Boot mit zwei Fischern. Historische Trachten und Geräte prägen die „lebenden Bilder“ – die Not vergangener Tage soll in Erinnerung gerufen werden. Dann tritt die Nazi-Kapelle in Uniform auf – der Abstand zum vorigen Wagen scheint sie geradezu anzukündigen. Die Zuschauer sind gewissermaßen mit auf der Bühne bei einem Festzug, und auch in dieser Einstellung des Films bleiben sie im Hintergrund beständig im Blick: Der Festzug zieht an ihnen vorüber, zieht durch das Bild hindurch – und versammelt das Disparate und Widersprüchliche in der Bewegung, mit der der Zug voranschreitet. Das „Medium“ des Festzuges hält das Getrennte und Gegensätzliche zusammen in seiner visuellen Erscheinung: eine Stadtgesellschaft zwischen Erinnerung und nationalsozialistischer Gegenwart, zwischen dem Recht des Einzelnen und der Idee einer Volksgemeinschaft, in der dieses Recht verloren zu gehen droht.

Die Zuschauer sind beharrlich im Blick, sie gehören zur Inszenierung des Festzuges, und nach einem Schnitt sieht man sie auch im Vordergrund im Bild, während sich der Zug auf gleißender Straße der Kamera entgegen bewegt. Jetzt tauchen die Darsteller aus dem Festspiel in mehreren Schnitten auf: Der Kommandant Kaspar Bamberger und sein Kapitän auf dem Pferd, Soldaten mit eisernen Helmen, ein Planwagen mit niederem Volk. Das Schauspiel über den „Trommler von Philippsburg“ wird zu einer Art „Script“ für den Festzug, in das sich auch die Bauern und Fischer mit ihren alten Gerätschaften einfügen. Die fiktionale Geschichte, die von Grimmelshausens Schelmenroman angeregt ist, prägt das Erscheinungsbild des Festzuges, das sich offen hält im Ineinander von Fiktion und Realität.

Die Nazi-Gruppen, die dann in Reih und Glied vorbei marschieren und in der Halbnahen meist mit stoischen Gesichtern ins Bild rücken, verweisen in ihrem demonstrativen Auftreten nur noch auf sich selbst, auf die gesellschaftliche Realität der Gegenwart. In der Bewegung des Voranschreitens nimmt der Festzug auch die Nationalsozialisten auf in die widersprüchliche Realität, die er selbst erst möglich macht. Der Anführer der Gruppe erhebt die Hand zum Hitlergruß – und im Vordergrund ist für eine kurze Sekunde die Hand eines Zuschauers zu sehen, der den Gruß erwidert. Im flüchtigen visuellen Ereignis einer hochgeschnellten Hand deutet sich das Schauspiel von NS-Masseninszenierungen an, die mit ihrer Faszination auch die Herrschaft der Einheit durchsetzt, der sich der Festzug widersetzt.

Philippsburg anno 1938: Der kleine Amateurfilm lässt das kulturelle Gedächtnis der Stadtgemeinschaft als heterogenen Raum sichtbar werden, der sich zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Fiktion und Realität in der Schwebe hält. Die zum Hitlergruß erhobene Hand, die eher zufällig ins Bild kommt, erhebt sich in einem Herrschaftsraum, den die Nationalsozialisten bereits besetzt haben. Ein Raum, der jedoch immer wieder übergeht in andere Räume und Zeiträume – in einem Bilderbogen, bei dem am Schluss noch einmal Menschen und Dinge aus dem Fiktionsraum des Festspiels in den Blick geraten: eine Kanone, Soldaten und wieder der Planwagen, der mit einem Schwenk hinter einer Hausecke verschwindet.

Reiner Bader

Lieux ou monuments


Philippsburg

Bibliographie


GVOZDEVA, Katja; VELTEN, Hans Rudolf, Medialität der Prozession / Médialité de la procession. Performanz ritueller Bewegung in Texten und Bildern der Vormoderne, Heidelberg, Winter 2011.



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