Schulanfang Mädchenschule (LFS 01421 6) : Différence entre versions

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|thematique=Body and Health@ Sport@ Identity@ Traditions@ Rural life
 
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|Resume_de=Schulanfang, Mädchenberufsschule bei Gartenarbeit, Schulsportfest
 
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|Contexte_et_analyse_de=Der Fotograf geht nach vorne, den Fotoapparat mit dem Blitzlicht um den Hals gehängt, dreht sich um zum Schulhaus, um Fotos von den Erstklässlern zu schießen, die gleich aus der Schultür kommen. Er schaut beiläufig in die Filmkamera, die unweit positioniert ist. Fotograf und Amateurfilmer begegnen sich: Der Erste ist jetzt selbst im Bild, wie er zum Bildermachen ansetzt, zu den Fotos vom ersten Schultag in der Philippsburger Hieronymus-Nopp-Schule, der im Jahr 1962 noch im April lag.
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Bis heute hat sich – trotz der neuen digitalen Aufnahmetechniken – nicht viel verändert an den Fotos von diesem Tag. Nicht fehlen darf die Porträtaufnahme mit der Schultüte im Arm – sie steht für einen wichtigen Einschnitt in der Lebensgeschichte. Verändert haben sich das Bildungssystem und die Pädagogik. 1964 löste Georg Pichts Buch über die „deutsche Bildungskatastrophe“ eine Bildungsrevolution aus. Volksschulen und Gymnasien in ihrer überlebten Form standen für ein Schulsystem, das mangels Chancengleichheit die Klassenstruktur der Gesellschaft bestätigte. Vor allem jedoch: Die pädagogischen Ideale hatten mit der Gegenwart der bürgerlichen Moderne und den Anforderungen eines sich verändernden Arbeitsmarktes nichts zu tun. Das Kind in der Schule war eine Art Untertan, dessen Wille gebrochen werden musste. Tugenden wie Disziplin, Fleiß und Gehorsam standen oben an: Auswendiglernen und Schönschreibschrift, Tatzen und In-der-Ecke-stehen prägen das Bild der Schule als Disziplinarmacht.
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Zeigt der Amateurfilm mehr und anderes vom Schulanfang als Fotos vom selben Ereignis? Die Kinder kommen aus dem Dunkel der Schultür, zunächst Schüler der höheren Klassen, zwei von ihnen schlagen vorneweg Trommeln. Der Lehrer an ihrer Seite hebt sich sogleich ab in der Halbtotalen: Im dunklen Anzug und mit Papieren in der Hand schaut er zunächst umsichtig zurück, um dann mit der Gruppe der älteren Schüler aus dem Bild zu verschwinden. Jetzt erscheinen die Erstklässler mit der Schultüte in der Tür: Zu zweit nebeneinander gehend halten manche einander die Hand. Nach einem Schnitt holt sie die Kamera im Vordergrund in der Halbnahen heran – bis im Hintergrund die junge Lehrerin mit der Mädchenklasse den Blick auf sich zieht: Im hellen Kostüm geleitet sie die Mädchen mit ruhiger Geste die Stufen hinunter, bevor sie nach einem Schnitt allein ins Bild kommt und gelassen an der Kamera vorbeigeht.
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Die Bewegung der Kinder ist in Fluss gekommen und zeigt sich als das vertraute Bild vom Schulbeginn. Die Lehrer erweisen sich dabei als die ‚guten Hirten‘, sie führen eine ‚Herde‘, die sich willig lenken lässt. Machtbeziehungen spiegeln sich unscheinbar in Führungsverhältnissen – und werden in der Szene sichtbar im ‚Bild‘ von Hirte und Herde. Die Bewegung der Erstklässler aus der Schule heraus wird zu einer Art Prozession, mit der die autoritäre Pädagogik der Zeit im Anschein eines pastoralen Rituals verschwindet.
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Die Bewegung des Zuges gerinnt zugleich zu einzelnen Bildern, die aus dem Fluss heraustreten, so wie die Einstellung mit der jungen Lehrerin im weißen Kostüm – und schließlich das Bild der Mütter, die hinter der zweiten Mädchenklasse aus der Schultür treten. Im Hintergrund werden andere Gebäude sichtbar, wenn sie nach einem Schnitt hinter den Kindern auf die Kamera zukommen. Die geordnete Bewegung des Zuges löst sich auf, indem die Einstellungen zu Szenen werden, zu ‚Auftritten‘ derjenigen, die auf die Anwesenheit der Kamera reagieren. Bei zwei Frauen, die sich unterhalten, bleibt es bei einer knappen Geste in Richtung Amateurfilmer. Ein Herr mit Kindern hinter sich reagiert stärker, hebt die Hand zum Gruß und spricht in die Kamera. Die bewegten Bilder halten die Szenen einer ‚Aufführung‘ zusammen, die nun auch den Aufführungscharakter hervorkehrt, der in den Szenen des Erstklässler-Zuges noch verdeckt war. Eine Bewegung, die anfangs ein Bild von Hirten und Herde hervorbrachte, wird zur Bewegung der Aufführung einzelner Szenen, die schließlich zum Abbruch des Filmes führt: Ein Herr in einer Dreiergruppe weist mit jovialer Geste auf seinen Nebenmann, spricht in Richtung der Kamera, um dann auf den Amateurfilmer zuzugehen, der in dieser Situation nicht mehr weiter filmen kann.
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Dieser Amateurfilm bildet die Szenen vom ersten Schultag nicht nur ab. Er verwandelt sie in eine ‚Bühne‘ für die Beteiligten, in die Bewegung einer Aufführung, die für den Amateurfilmer zuletzt nicht mehr kontrollierbar ist. Die folgenden Aufnahmen aus dem Garten der Philippsburger Mädchenberufsschule, Bilder von den Pflanzungen in den streng angeordneten Beeten, wirken so auch wie ein Versuch, noch einmal ein wenig Ordnung in den Film zu bringen. 
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Reiner Bader
 
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Version du 8 novembre 2019 à 14:30


Avertissement[1]

Résumé


Schulanfang, Mädchenberufsschule bei Gartenarbeit, Schulsportfest

Métadonnées

N° support :  LFS 01421 6
Date :  1962
Coloration :  Couleur
Son :  Muet
Durée :  00:02:22
Format original :  8 mm
Genre :  Film amateur
Thématiques :  Corps et santé, Sport, Identité, Traditions, Vie rurale
Institution d'origine :  Haus des Dokumentarfilms

Contexte et analyse


Der Fotograf geht nach vorne, den Fotoapparat mit dem Blitzlicht um den Hals gehängt, dreht sich um zum Schulhaus, um Fotos von den Erstklässlern zu schießen, die gleich aus der Schultür kommen. Er schaut beiläufig in die Filmkamera, die unweit positioniert ist. Fotograf und Amateurfilmer begegnen sich: Der Erste ist jetzt selbst im Bild, wie er zum Bildermachen ansetzt, zu den Fotos vom ersten Schultag in der Philippsburger Hieronymus-Nopp-Schule, der im Jahr 1962 noch im April lag.

Bis heute hat sich – trotz der neuen digitalen Aufnahmetechniken – nicht viel verändert an den Fotos von diesem Tag. Nicht fehlen darf die Porträtaufnahme mit der Schultüte im Arm – sie steht für einen wichtigen Einschnitt in der Lebensgeschichte. Verändert haben sich das Bildungssystem und die Pädagogik. 1964 löste Georg Pichts Buch über die „deutsche Bildungskatastrophe“ eine Bildungsrevolution aus. Volksschulen und Gymnasien in ihrer überlebten Form standen für ein Schulsystem, das mangels Chancengleichheit die Klassenstruktur der Gesellschaft bestätigte. Vor allem jedoch: Die pädagogischen Ideale hatten mit der Gegenwart der bürgerlichen Moderne und den Anforderungen eines sich verändernden Arbeitsmarktes nichts zu tun. Das Kind in der Schule war eine Art Untertan, dessen Wille gebrochen werden musste. Tugenden wie Disziplin, Fleiß und Gehorsam standen oben an: Auswendiglernen und Schönschreibschrift, Tatzen und In-der-Ecke-stehen prägen das Bild der Schule als Disziplinarmacht.

Zeigt der Amateurfilm mehr und anderes vom Schulanfang als Fotos vom selben Ereignis? Die Kinder kommen aus dem Dunkel der Schultür, zunächst Schüler der höheren Klassen, zwei von ihnen schlagen vorneweg Trommeln. Der Lehrer an ihrer Seite hebt sich sogleich ab in der Halbtotalen: Im dunklen Anzug und mit Papieren in der Hand schaut er zunächst umsichtig zurück, um dann mit der Gruppe der älteren Schüler aus dem Bild zu verschwinden. Jetzt erscheinen die Erstklässler mit der Schultüte in der Tür: Zu zweit nebeneinander gehend halten manche einander die Hand. Nach einem Schnitt holt sie die Kamera im Vordergrund in der Halbnahen heran – bis im Hintergrund die junge Lehrerin mit der Mädchenklasse den Blick auf sich zieht: Im hellen Kostüm geleitet sie die Mädchen mit ruhiger Geste die Stufen hinunter, bevor sie nach einem Schnitt allein ins Bild kommt und gelassen an der Kamera vorbeigeht.

Die Bewegung der Kinder ist in Fluss gekommen und zeigt sich als das vertraute Bild vom Schulbeginn. Die Lehrer erweisen sich dabei als die ‚guten Hirten‘, sie führen eine ‚Herde‘, die sich willig lenken lässt. Machtbeziehungen spiegeln sich unscheinbar in Führungsverhältnissen – und werden in der Szene sichtbar im ‚Bild‘ von Hirte und Herde. Die Bewegung der Erstklässler aus der Schule heraus wird zu einer Art Prozession, mit der die autoritäre Pädagogik der Zeit im Anschein eines pastoralen Rituals verschwindet.

Die Bewegung des Zuges gerinnt zugleich zu einzelnen Bildern, die aus dem Fluss heraustreten, so wie die Einstellung mit der jungen Lehrerin im weißen Kostüm – und schließlich das Bild der Mütter, die hinter der zweiten Mädchenklasse aus der Schultür treten. Im Hintergrund werden andere Gebäude sichtbar, wenn sie nach einem Schnitt hinter den Kindern auf die Kamera zukommen. Die geordnete Bewegung des Zuges löst sich auf, indem die Einstellungen zu Szenen werden, zu ‚Auftritten‘ derjenigen, die auf die Anwesenheit der Kamera reagieren. Bei zwei Frauen, die sich unterhalten, bleibt es bei einer knappen Geste in Richtung Amateurfilmer. Ein Herr mit Kindern hinter sich reagiert stärker, hebt die Hand zum Gruß und spricht in die Kamera. Die bewegten Bilder halten die Szenen einer ‚Aufführung‘ zusammen, die nun auch den Aufführungscharakter hervorkehrt, der in den Szenen des Erstklässler-Zuges noch verdeckt war. Eine Bewegung, die anfangs ein Bild von Hirten und Herde hervorbrachte, wird zur Bewegung der Aufführung einzelner Szenen, die schließlich zum Abbruch des Filmes führt: Ein Herr in einer Dreiergruppe weist mit jovialer Geste auf seinen Nebenmann, spricht in Richtung der Kamera, um dann auf den Amateurfilmer zuzugehen, der in dieser Situation nicht mehr weiter filmen kann.

Dieser Amateurfilm bildet die Szenen vom ersten Schultag nicht nur ab. Er verwandelt sie in eine ‚Bühne‘ für die Beteiligten, in die Bewegung einer Aufführung, die für den Amateurfilmer zuletzt nicht mehr kontrollierbar ist. Die folgenden Aufnahmen aus dem Garten der Philippsburger Mädchenberufsschule, Bilder von den Pflanzungen in den streng angeordneten Beeten, wirken so auch wie ein Versuch, noch einmal ein wenig Ordnung in den Film zu bringen.

Reiner Bader

Lieux ou monuments


Philippsburg



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